Flüchtlinge

Wenn heutzutage von Flüchtlingen die Rede ist, denkt man automatisch an Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Vor 70 Jahren waren damit aber Menschen gemeint, die aus den deutschen Ostgebieten vertrieben wurden. Welche Erfahrungen haben Sie damals mit Flüchtlingen gemacht?

Herr Graubohm erläutert, wie wenig die Flüchtlinge hatten:

 

In Hodenhagen kamen zugweise Flüchtlinge an. Dort, wo heute das Café am Deich ist, war früher ein Saal. Auf diesen Saal kamen die Flüchtlinge erst einmal, von dort aus wurden sie verteilt. Vor dem Saal war sogar eine Lampe an, als die Flüchtlinge in der Dämmerung ankamen. Solche Dinge bleiben einem in Erinnerung. Viele sind dann auch nach Ahlden gekommen. Wir selber hatten auch Flüchtlinge in unserem Haus. Sie hatten buchstäblich nur das, was sie am Leibe trugen. Eine Frau war mit ihrem Sohn von Ostpreußen bis hierher zu Fuß gekommen. Sie hatte nichts bis auf ihre Handtasche, da waren ein paar Sparbücher drin und Papiere von der Versicherung. Wir hatten Menschen aus Pommern, Schlesien, Holland und Ostpreußen bei uns. Das Haus war voll bis oben hin. Die Flüchtlinge haben sehr gelitten. Man muss sich vorstellen, so war es in Ahlden, dass die Bauern das Maß aller Dinge waren. Sie hatten Milch und etwas zu essen, und den Flüchtlingen ging es wirklich nicht gut. Natürlich sind sie mal aufs Land gegangen in der Mittagszeit, in die Gärten, und haben sich mal ein paar Erbsen abgepflückt oder sich Wurzeln rausgezogen. Nach dem Verständnis von heute ist das völlig normal. Aber damals gab es so einen Spruch, das ist jetzt kein Schlechtmachen, aber es hieß: „Die Kartoffelkäfer und die Flüchtlinge werden wir nicht wieder los.“ Das war so eine Diskriminierung, die man heute erst begreift. Was diesen Menschen angetan wurde!

 

Am Helberg an der Aller waren zwei Kähne, die hat man auf Grund gesetzt. Der eine war beladen mit feldgrauen Uniformen, und der andere mit Marine-Uniformen. Das haben die Leute alles herausgefischt, weil sie unbedingt Kleidung brauchten zum Anziehen. Der Saal im damaligen „Hotel zur Post“ war bis unter die Decke mit Bettzeug, Tischdecken und Handtüchern vollgepackt. Auf den Handtüchern stand „Kriegsmarine“. Die Frauen haben die Bänder rausgezogen, damit man dann den Schriftzug „Kriegsmarine“ nicht mehr lesen konnte, dann wurden die Handtücher verteilt. Drei Teile haben die Flüchtlinge bekommen und ein Teil die Ortsansässigen. Die Flüchtlinge haben mehr bekommen, weil sie ja gar nichts hatten. Das war in der Umbruchzeit, ehe die Engländer da waren.

Frau Plöger hat weiß auch noch, wie wenig Flüchtlinge zu essen hatten:


Flüchtlinge habe ich auch gesehen und zwar kamen sie durch unser Dorf. Da gab es die so genannten Flüchtlingstracks. Die kamen alle aus dem Osten, aber ich wusste nicht, wohin die gehen. Sie waren mit Wagen und mit Pferd unterwegs und die Frauen mit Kinderwagen und Kindern im Wagen. Meine Mutter hat mir dann öfter mal, wenn noch was vom Essen übrig geblieben ist, eine Kartoffel gegeben. Die habe ich zu den Flüchtlingen gebracht, aber meine Mutter hat gesagt, dass ich sie nur Frauen mit Kindern geben sollte. Die Not war schon sehr sehr groß. 

Herr Siemer berichtet davon, dass Flüchtlinge zuhause aufgenommen wurden:

 

Nach dem Kriege kamen die Flüchtlinge, und da wurde jedes Zimmer belegt. Bei uns waren drei Familien, alle mit vier bis fünf Leuten. Das Zimmer wurde zugewiesen. Wir hatten extra einen Flüchtlingsbetreuer. Die Flüchtlinge waren ungefähr zwei Jahre bei uns.

Herr Rotermund erinnert sich ebenfalls an beengte Wohnverhältnisse:

 

Andere Mitschüler, die als Flüchtlinge nach Ahlden kamen, hatten nicht so viel zu essen nach den Krieg. Sie hatten meistens nur Maisbrot, Weißbrot gab es selten. Maisbrot hat mir gar nicht gut geschmeckt. Denen, die aus dem Krieg kamen, ging es gar nicht gut. Flüchtlinge wohnten auch ein paar Jahre bei uns mit im Haus, drei Familien. Auch wenn Platzmangel war. Die Zimmer wurden dreifach und doppelt belegt, damit alle Familien Platz hatten. Eine ganze Familie lebte in einem kleinen Zimmer mit Schräge. Man muss aber auch bedenken, dass „Wohnen“ damals nur „Schlafen“ bedeutete, dass man irgendwo unterkam. Die Zimmer wurden beschlagnahmt. Ich hatte noch zwei Schwestern und wir haben zusammen in einem Zimmer geschlafen.

Herr Pralle berichtet von der Bedeutung der Schulspeisung in der Nachkriegszeit:


In der Schule gab es eine Schulspeisung. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Diese vielen Flüchtlingskinder und die Familien, die hatten wenig zum Essen, zum Teil auch gar nichts. Neben der Eickeloher Schule, da war so ein altes Backhaus, in dem wurde von der Gemeinde Essen gekocht. Meistens gab es Grießbrei oder so was. Die Flüchtlingskinder, die standen in Reih und Glied da, sie mussten sich anstellen. Jeder bekam einen Schlag in einen kleinen Behälter, und das konnten sie dann essen. Ich kriegte nichts, weil wir zuhause genug Nahrungsmittel hatten. Das muss man mal einem Kind erklären. Alle anderen kriegen was und der eine der kriegt nichts. Darum hatte meine Mutter mit der Frau, die da kochte, vereinbart: „Er bekommt auch was ab.“ Dann durfte ich da auch mit in der Schlange stehen. Da war ich dann glücklich, dass ich nicht ausgegrenzt wurde. Für Kinder ist das ja so wichtig. 

Über das Zusammenleben mit Flüchtlingen auf dem elterlichen Hof berichtet Herr Pralle wie folgt:


Alle machten sich auf irgendeine Art und Weise nützlich auf dem Hof, bis eben etwas anderes gefunden wurde. Das dauerte dann ein paar Jahre, bis die Leute irgend woanders unter kamen. Diese ganze Geschichte lief ab ohne Geld, da gab es kein Bargeld, denn damals ging es nur darum, ein Dach über den Kopf zu haben. Kornähren wurden gesammelt, Kartoffeln gestoppelt, Lebensmittel und auch die Arbeit wurden geteilt, so war das bei uns auf dem Hof. Die Leute, die bei uns waren, die arbeiteten mit und dafür wurden die Küche und auch die Nahrungsmittel geteilt.


Ihr könnt davon ausgehen, das, was auf unserem Betrieb war, war auf den anderen Betrieben in Eickeloh genauso. Die hatten auch Flüchtlinge und mussten damit klar kommen. 

An einen Gast kann sich Herr Pralle noch ganz genau erinnern – Bruno:


Er war mit 14 Jahren so alt wie ihr, als er zu uns auf den Hof kam. Er kam aus Tilsit. Seine Eltern hat er nie wieder gesehen, denn Kriegsgefangene hatten ihn mitgebracht aus Russland. Ich sehe es heute noch vor mir, wie er ankam mit so einem Bollerwagen. Er hatte riesengroße Schuhe, irgendwer hatte ihm diese Schuhe gegeben, so Größe 45, und er war so ein kleiner Steppke, ca. 1,60 m groß, ein schmächtiger Kerl. Bruno ist dann ungefähr 20 Jahre bei uns geblieben.