Die Engländer kommen

Als die alliierten Truppen in Deutschland einmarschierten, kam der Krieg schließlich zu seinem Ende. Im Aller-Leine-Tal waren es die Engländer, die die deutsche Bevölkerung von der Nazi-Herrschaft befreiten. Was geschah, als die Engländer kamen?

 

Herr Graubohm erzählt von gefährlichen Situationen, als die Engländer anrückten:

 

Eines Tages kamen sie dann, die Engländer. Ich sah mit dem Nachbarsjungen vom Bunker (Anmerkung: siehe Artikel "Bunker")  aus auf die Büntestraße, da habe ich zum ersten Mal Engländer gesehen. Wir sind wie die Murmeltiere im Bau verschwunden. Die Soldaten schossen zwei Mal und dann gingen sie wieder. Am nächsten Tag sind sie dann in Ahlden einmarschiert. Die Kommandantur war im Hotel zur Post untergebracht. Im Hause bei uns gegenüber, Koch, und bei Max Dannenberg auf dem Saal waren die Mannschaften untergebracht. Wir Kinder haben geguckt, was da los war.

 

Pfingsten 1945 war Hausdurchsuchung. Die Engländer haben ja jedes Haus durchkämmt. Ein Soldat stand vorne und einer hinten, beide mit Maschinengewehr. Meine Mutter, meine Großmutter und ich waren alleine zu Hause. Mein Vater hatte aus dem ersten Weltkrieg eine Pistole und ein Maschinengewehr mitgebracht. Das alles hatte ich schon in einen weißen Leinensack getan und das Ganze dann in die Leine geschmissen. Wir hatten aber vollkommen vergessen, dass mein Vater noch Munition zu dem Gewehr war. Diese Munition lag in einem Koffer auf dem Dachboden. Wir haben den Koffer heute noch. In dem Koffer lagen auch Leinensäcke, die für Korn verwendet wurden. Sie waren gewaschen und aufgerollt und sahen so aus wie Granaten. Ein Soldat ging mit mir auf den Dachboden und hat diese Dinger gesehen. Ich musste die ganzen Säcke aufmachen, weil er dachte, da wären Granaten drin. Mit einmal sieht der Soldat in einem Nebenfach die Munition. Da lief ich wie ein Wiesel runter zu dem Nachbarn, der sprach fließend Englisch. Den habe ich geholt. Währenddessen haben die Engländer meine Mutter und Großmutter schon auf den Boden geholt, sie standen mit den Händen an der Wand, weil die Soldaten die Munition gefunden hatten. Das war eine kritische Situation. Unser Nachbar hat auf die Soldaten eingeredet. Daraufhin wurden wir drei abgeführt zur Kommandantur. Dort war ein Leutnant oder Hauptmann. Unser Nachbar hat ihm die Sache erklärt, und dann durften wir wieder nach Hause gehen.

 

Unsere Familie hatte zwei Kühe und die waren auf einer Gemeinschaftsweide, dem Helberg gegenüber. Wie viele Kühe man hatte, so viele Tage musste man sie auch hüten. Wenn die Reihe herum war, dann kam man wieder dran. Ich habe mit meiner Großmutter zusammen die Kühe gehütet. Auf dem Beu gab es eine Hütte, in der man sich, wenn es regnete, unterstellen konnte. 1943/44 kamen die Amerikaner mit ihren Flugzeugen, da sind meine Großmutter und ich aus Angst aus der Hütte gegangen und wir haben uns in einen Graben hinter eine Hecke gelegt. Meine Großmutter hat die Flugzeuge gezählt. Bei 600 hat sie aufgehört. Es kam ein Schwarm nach dem anderen. Die Erde hat vibriert von dem Motorengeräusch. Ich erinnere mich so genau, als wenn es gestern gewesen wäre, wie wir in dem Graben lagen. Die englischen Jagdflugzeuge konnten im Anflug schießen und auch im Abflug. Sie hatten auch im Heck Schützen. Sie haben auf einzelne Leute auf dem Feld geschossen.


An der Straße nach Büchten, da war einer vom Jungvolk, so ein 300%iger Jungzugführer, der wollte Ahlden verteidigen. Zwischen Büchten und Ahlden waren Winkelgräben, alle 100 m war ein Winkelgraben. Dort konnte man hineinspringen, wenn Tiefflieger kamen. Lehrer Blöthe (Anmerkung: siehe Artikel "Waffen") sagte zu Herrn Behrmann aus dem Volkssturm: „Geh da mal hin, da sitzt einer mit Panzerfäusten im Loch, da passiert sonst noch was.“ Wir als Bengel sind natürlich hinterhergelaufen. Der Jungzugführer hatte drei oder vier Panzerfäuste bei sich liegen. Behrmann sagte zu ihm: „Komm da raus!“ „Nein, hier wird verteidigt!“ Da schnappt Behrman den Bengel an den Haaren, haut ihm links und rechts welche und sagt zu uns: „Nehmt die Panzerfäuste und werft sie in die Leine!“ Und wir haben die Dinger genommen und in die Leine geworfen. Hätte der Jungzugführer geschossen, hätten die Engländer Ahlden platt gemacht. Sowie sich einer gewehrt hat, in Kirchboitzen zum Beispiel, kamen sie mit Flugzeugen und Artillerie. Es wurde so lange geschossen, bis alles platt war. Da kannten sie keine Verwandten. Die Tiefflieger haben auf den einzelnen, der auf dem Hof war und der gepflügt hat, geschossen.

 

 

Frau Meins berichtet, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere vom Einmarsch der alliierten Truppen betroffen waren:

 

Wir haben zu Hause in Böhme Kühe gehabt. Mitte April 1945 war es schon ziemlich warm. Die Kühe wurden nach draußen auf die Weide gebracht und abends wieder hereingeholt zum Melken. Es wurde noch mit der Hand gemolken, es gab ja keine Maschine. Im April 1945 war der Beschuss durch die Engländer. Meine Mutter, meine Schwester und ich wollten die Kühe wieder aus der Marsch holen. Aber es war nicht möglich wegen der Geschosse, die am Himmel flogen. Also sind wir wieder nach Hause gegangen. Am nächsten morgen standen die Kühe vor der Tür und wollten gemolken werden. Sie kamen ganz allein nach Hause. Das sind Erinnerungen, die man nicht vergisst.

 

 

Herr Rotermund erinnert sich, dass die Ahldener Bevölkerung den Ort räumte:


Anfang April 1945 sind wir Ahldener aus dem Ort geflüchtet, weil Ahlden beschossen werden sollte, aber dann hat es doch Rethem getroffen. Wir sind in die Heide geflüchtet, haben dort Zelte aufgeschlagen und ein paar Tage im Wald gelebt. Zu der Zeit war sehr schönes Wetter, so dass man auch draußen schlafen konnte und nicht frieren musste.

Als die Engländer nach Ahlden kamen, wurde über Ahlden hinweggeschossen. Bei uns im Haus hatten wir einen Volltreffer im Giebel. Das Haus dahinter hatte einen Erker, der wurde auch getroffen und war dann weg. Es waren Schrapnelgeschosse, die explodierten, so dass Splitter durch die Gegend flogen. Ich weiß noch, dass wir bei uns auf dem Boden aus den Balken noch die Metallteile von den Granaten gefunden und herausgeholt haben.

 

Als die Leinebrücke in Ahlden gesprengt wurde, da waren wir auf den Weg in die Heide zum Zelten. Ich stand am damaligen Gasthaus Bösenberg und mit einem Mal fielen in der Zimmerei Carstens die Fenster heraus. Danach hat es ein paar Sekunden gedauert, und dann hat es geknallt: Sie hatten die Brücke gesprengt. Durch die Druckwelle wurden die Fenster zerstört. Der Knall kam viel später. Genauso ist es mir mit der Allerbrücke gegangen. Das war am nächsten oder übernächsten Tag. Wir waren schon in der Heide. Ich war als Junge einen Baum hochgeklettert und konnte von dort aus über das flache Land Richtung Hodenhagen sehen. Mit einem Mal flog die Brücke in die Luft und sackte dann in sich zusammen.

 

Von der Brückensprengung ist bei uns in der Stallung ein Loch in der Decke entstanden. Von den vierkantigen Steinen, mit denen die Straße gepflastert war, ist einer oben durch das Dach und den Boden bis ins Lager durchgeflogen. Meine Aschen-Oma war gerade beim Melken und saß unter einer Kuh. Ein Stein ist direkt neben sie heruntergeknallt. Daraufhin hat meine Oma die Milch ausgekippt, aber sie wurde nicht getroffen. Ein Herr Böttcher, der am Gericht beschäftigt war und gerade über den Hof ging, bekam einen Stein ab und wurde davon erschlagen.

Frau Plöger erlebte das Kriegsende in Westfalen, dort kamen nicht die Engländer, sondern die Amerikaner. Sie erinnert sich wie folgt:


Eines Tages kommt mein Vater plötzlich die Straße runter. Ich lief zu ihm und freute mich, ihn zu sehen. Er sagte nur: „Komm mit rein!“ In der Schule wurden die Männer zusammengetrommelt, sie sollten zusammengestellt werden für einen Transport an die Front. Mein Vater hatte gemerkt, dass es nicht mehr lange gut geht. Er hat gesagt: „Das mache ich nicht mit.“ und hat mit meiner Mutter irgendwie verabredet, sie sollte ihn Privatklamotten mitbringen und diese dann hinter einer bestimmten Hecke verstecken. Das hat mein Bruder dann übernommen. Und dann ist mein Vater gegangen. Wenn sie ihn erwischt hätten, hätten sie ihn an die Wand gestellt und erschossen.


Drei Tage später saßen wir wieder im Keller, es war Luftalarm. Ich weiß noch, oben wurde  die Kellertür aufgerissen und dann stand da ein Amerikaner mit Gewehr am Anschlag und fragte: „Soldaten?“ Mein Vater sagte: „Nein.“ Der Amerikaner sagte: „Dein Pass!“ Mein Vater hatte aber gar keinen Pass, weil er den ja bei der Einberufung abgeben musste, stattdessen hatte er seinen Führerschein gezeigt. Der Amerikaner konnte den Unterschied zwischen Pass und Führerschein nicht erkennen und sagte „OK!“, knallte die Tür zu und war wieder weg. Das war 1945. Die Amerikaner kamen mit einem großen LKW und hinten drauf waren auch afroamerikanische Männer, da hab ich das erste Mal in meinem Leben dunkelhäutige Menschen gesehen.